Zukunft der Arbeit: Tagelöhnerei für alle

Aus openPunk
Zur Navigation springen Zur Suche springen

CDU-Spitzenpolitiker fordern komplette Abschaffung des Kündigungsschutzes.

Nachdem es dem deutschen Kapital mit Unterstützung der politischen Klasse gelungen ist, in den symbolträchtigen Großbetrieben Siemens und DaimlerChrysler drastische Lohnkürzungen durchzusetzen, soll jetzt offenbar auch der Kündigungsschutz sturmreif geschossen werden. Mit Christian Wulff (Niedersachsen) und Roland Koch (Hessen) haben sich am Wochenende gleich zwei CDU-Ministerpräsidenten für dessen Abschaffung eingesetzt. Das »so heilig gesprochene Kündigungsschutzrecht« diene im Grunde nur noch der Beschäftigung von Arbeitsgerichten und Rechtsanwälten, sagte Wulff der Berliner Zeitung. In Deutschland sei es zwar zweimal schwieriger als in den USA, arbeitslos zu werden, es sei aber auch 13mal schwieriger, wieder eine Arbeit zu finden. »Damit richtet sich der Kündigungsschutz gegen die, die geschützt werden sollen«, sagte Wulff. »Was nutzt einem älteren Arbeitslosen der beste Kündigungsschutz, wenn genau der dazu führt, daß er überhaupt keinen Job bekommt«, assistierte Koch in der Tageszeitung Die Welt. CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz steuerte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung das Bonmot »Lieber befristet beschäftigt als unbefristet arbeitslos« bei.

Innerhalb der Union ist der Vorstoß der Turboliberalen umstritten. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller lehnte am Montag im Deutschlandfunk eine vollständige Aufhebung des Kündigungsschutzes ab. Er wolle keine »amerikanischen Verhältnisse«, so Müller. Die Union sei die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Das bedeute auch, daß es Arbeitnehmerschutzrechte geben müsse. CSU-Vize Horst Seehofer, der auch Vorsitzender der CSU-Arbeitnehmervereinigung CSA ist, erklärte am Montag in München: »Es gibt keinen Beleg, daß die Lockerung oder gar der Wegfall des Kündigungsschutzes zu mehr Beschäftigung führt.« Seehofer warnte die CDU: »Wenn wir nur soziale Leistungen und Arbeitnehmerrechte streichen, werden die Leute nicht mitmachen.«

Für SPD und Gewerkschaftsführung sind die Vorstöße aus den Reihen der Union gegen den Kündigungsschutz eine offensichtlich hochwillkommene Gelegenheit, sich als Interessensvertreter der abhängig Beschäftigten zu gerieren. Ausgerechnet Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der IG Bergbau-Chemie-Energie, nannte die Forderungen am Montag in Hannover »zynisch« und bescheinigte Wulff und Merz, »die Wirtschaftsregeln nicht begriffen« zu haben. Er empfahl Politikern, die den Kündigungsschutz abschaffen wollten, »in die gepriesenen Länder auszuwandern«. Schmoldt gilt als einer der glühendsten Verfechter von Schröders »Agenda 2010« innerhalb der Gewerkschaftsführung. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg bezeichnete die Forderungen der Opposition am Montag als »außerordentlich bedenkliche Entwicklung«. Der Kündigungsschutz habe sich bewährt, so Steg, der auf die »praxisgerechten und sinnvollen« Neuregelungen verwies, die zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten sind. Seitdem gilt der Kündigungsschutz nur noch für Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern. Ferner wurde die vorgeschriebene »Sozialauswahl«, die besonders ältere Beschäftigte vor Entlassungen schützen sollte, abgeschafft.

SPD-Chef Franz Müntefering bezeichnete die Vorstöße der CDU als »hemmungslos«, »kapitalistische Ideen von gestern« und »Verrat an der sozialen Marktwirtschaft«. Derlei radikales Wortgeklingel dürfte momentan besonders leichtfallen. Bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode wird die SPD mit Sicherheit nicht weiter am Kündigungsschutz rütteln. Und anschließend wird er weitgehend abgeschafft werden, egal, wer dann die Regierung stellt.

Entsprechend unaufgeregt registriert man den CDU-Vorstoß bei den großen Unternehmerverbänden. Beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wollte man auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben. Auch bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat man offenbar keine Eile, Öl ins Feuer zu gießen. Man sage dazu »gar nichts mehr«, so Pressereferent Elmar Sulk, der auf eine Pressekonferenz in einigen Tagen verwies.