WIZO - DER

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Dieser Artikel ist ein Review zu WIZO - DER


Review WIZO - DER

Achtung, Sensation! Das hätte wohl niemand WIZO zugetraut bzw. hätte niemand damit gerechnet. Wo doch immer alles so lange dauert bei den Sindelfingern. Und jünger werden die ja auch nicht. Unglaublich, aber wahr! Nur zwei Jahre nach dem Comeback-Kracher "Punk gibt's nicht umsonst (Teil III)" steht nun mit "DER" der nächste Longplayer in den Startlöchern. Das hat es seit der "Uuaarrgh!"-Platte nicht mehr gegeben, die ja 1994 genau zwei Jahre nach dem Doppelalbum "Bleib tapfer/Für'n Arsch" erschien. Also wenn man die "Herrénhandtasche" von 1995 als EP und nicht als Album wertet. Die "anderster" kam ja erst zehn Jahre nach der CD mit dem Fert-Cover. So, sind jetzt alle verwirrt? Ich auch. Aber ziemlich genial, wie ich mal so eben alle WIZO-Platten aufgezählt hab, oder?
Ok, nun aber zum neusten Werk: 13 Songs, ich freu mich wie Bolle! Etwas irritiert bin ich beim ersten Titel. "Adagio" heißt das Stück und den Begriff kenne ich als alter Musikschulenschüler nur aus der Musik; da wird er nämlich als Tempobezeichnung benutzt und bedeutet langsam. Das Lied ist aber alles andere als langsam. Das geht voll nach vorne und gegen alles, was sich unsere Welt und Gesellschaft im Laufe der Jahrtausende an Müll und Scheiße angeeignet hat: "Kein Gott, kein Staat, kein Vaterland... nie wieder Kriege und Völkermord, stattdessen Saufen als Leitungssport... nennt es ruhig Wahnsinn oder Utopie, ich glaube weiter an Anarchie". Was ein Opener! Hammer! Im kommenden Jahr stehen ja wieder Bundestagswahlen an und über die bevorstehende Zeit voller Lügen und Täuschung wird in "Wahlkrampf" gesungen. Ein wirkliches Highlight ist der Song "Verwesung". Wir funktionieren in unserer Routine, arbeiten um Miete und Essen zahlen zu können, eigentlich passiert aber gar nichts, außer dass wir Stück für Stück vor uns hin verwesen. Soll man das Leben nennen?! Mein erstes Lieblingslied ist das "Bierboot". Beim ersten Hören steige ich noch nicht so durch, es ist vor allem musikalisch anspruchsvoll und kommt etwas unerwartet. Auch beim Text denke ich zuerst, was soll das nur werden? Aber es geht richtig zur Sache und berührt mich total, weil ich bei diesem Thema ganz genau so denke und fühle. Wir in der entwickelten Welt müssen uns ja ständig mit ach so schlimmen Problemen rumplagen und wenn plötzlich unser Lieblingsbier nicht mehr im Kühlschrank vorrätig ist kommt das dem Super-GAU gleich. Um die Menschen in wirklich großer Not, die Hunger leiden und vor Krieg und Terror fliehen kümmern wir uns dagegen einen Scheiß. Wen juckt's schon, wenn diese unterentwickelten und ungebildeten Nichtsnutze voller Hoffnung auf ein komplett seeuntüchtiges Boot steigen und absaufen? Und sollten sie es doch mal unter den widrigsten und unmenschlichsten Umständen auf unseren Kontinent schaffen bleiben die Grenzen geschlossen und sie werden eiskalt abgewiesen. Da könnte ich auch nur noch schreien! Gegen Nazis, gegen rechte Scheiße, gegen faschistische Pseudowissenschaften und gegen Rassisten stellt sich "Antifa" genauso wie "Déja vu" und "Wahrheit"; auch 2016 wichtiger denn je, das muss man leider immer wiederholen! Kann sich noch jemand an den Auftritt von WIZO 1994 auf den Chaostagen erinnern? Ein hoch auf die Vergangenheit, davon handelt der zauberhaft poppige Nostalgie-Song "Chaostage 94". Und hier die Zutaten für einen typischen WIZO-Hit: Man nehme eine gute Laune verbreitende Ohrwurm-Melodie, mische sie ganz einfach mit einem bitterbösen, total gemeinen Text und fertig ist das Ding. So mal wieder geschehen bei "Trübsal". Dafür kann man WIZO einfach nur lieb haben! Mein zweites Lieblingslied ist "Apocalypso", was ein feines Wortspiel. Wieso wundern sich eigentlich alle, dass wir ein Flüchtlingsproblem haben? Solange wir unseren Wohlstand nur durch Unterdrückung anderer Menschen erreichen werden diese irgendwann zu uns kommen wollen, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Wer will ihnen das verübeln? Die Apokalypse wird als Calypso vorgetragen und klingt sowas von nach Schlager, dass ich einen großen Spaß daran hätte, wenn WIZO diese Nummer mal bei Immer wieder sonntags performen würde. Allein schon um den völlig durchgeknallten Kongaspieler live und in Farbe erleben zu können. Was für ein superduper mega Hammer-Hit! Zum Schluss gibt es noch die Erklärung, warum jeder das geworden ist was er ist und so wissen wir nach dem Hören von "Hässliche Punker", dass wir unterm Strich doch alle nur geliebt werden wollen. Erklärt wird uns das alles von Axel Kurth, dem Gott, hüstel. Naja, irgendwie muss ja ein bisschen Größenwahn dabei sein, wenn man schon ein Sänger mit einem Riesenglied ist.
Mich beeindruckt dieses Album! Es ist inhaltlich am Zahn der Zeit, die Texte sind sehr intelligent mit dem WIZO-üblichen Charme und Witz geschrieben und musikalisch bereiten mir vor allem die unerwarteten Passagen Orgasmen, wobei es aber immer nach WIZO klingt. Und das soll doch auch so sein! Alle zwei Jahre eine WIZO-Platte, daran möchte ich mich gerne gewöhnen.

Gesamtspielzeit 39:18 min

www.wizo.de

Erhältlich als CD, LP und Download Kategorie:ReviewsKategorie:Reviews zu WIZO - DER