The Lost Lyrics Interview (2014)

Aus openPunk
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The Lost Lyrics aus Kassel gehören mittlerweile zu den dienstältesten aktiven Punkrockbands in Deutschland. Seit 1991 haben sie kontinuierlich Musik veröffentlicht, deutschlandweite Touren mit diversen Bands gespielt, Trends überdauert und sind sich stets treu geblieben. 2011 haben sie mit der Download-EP „The Roaring Twenties“ ihr 20jähriges Jubiläum gefeiert, nun steht die Band wieder im Studio. Sänger, Gitarrist und Mastermind Holger war so freundlich und hat uns auf den neusten Stand gebracht.

HULKzine: Wie man auf eurer Facebook-Seite vernehmen konnte, nehmt ihr gerade eine neue Platte auf, das sind ja tolle Neuigkeiten! Worum geht es genau, worauf dürfen wir uns freuen?

Holger: Stimmt, wir bringen demnächst eine neue Scheibe heraus. Sie wird "Digiphobie" heißen, und auf den Titel kamen wir auch deshalb, weil wir eine Vinylplatte machen wollten. Der wird zwar eine CD beiliegen, aber eben nicht als eigenständiger Tonträger. So dass man sagen kann, wir bringen nur eine Schallplatte heraus. Das haben wir ja noch nie gemacht, und da hatten wir mal Lust zu. Da werden zehn Lieder drauf sein - die vier von der letzten Download-EP, zum Teil neu eingespielt sowie sechs ganz neue Lieder. Außerdem: Schließlich heißt es ja Hulk Räckorz und nicht Hulk Compactdiscs.

HULKzine: Super, das hört sich vielversprechend an. "Digiphobie" ist ein cooler Name für eine Schallplatte und bestätigt meinen Eindruck, dass Vinyl in den letzten Jahren wieder schwer im Kommen ist. Ich finde es gut, dass Bands immer öfter wieder LPs veröffentlichen und einen Downloadcode beilegen oder wie in eurem Fall eine CD. Vinyl ist auf jeden Fall das schönere Medium, schon allein wegen der Größe, da wirkt ein Cover doch erst richtig. Worum wird es inhaltlich auf der Platte gehen? Eure Texte waren und sind ja immer etwas besonderes, nicht immer dem Punkrock-Klischee entsprechend mit abgenutzten Parolen gegen Bullen, Staat, Kirche usw., aber dennoch sozialkritisch, politisch und oft auch persönlich. Was gibt es nach über 20 Jahren Lost Lyrics zu erzählen?

Holger: Zu der letzten Frage passt zum Beispiel "Wenn der Fluss voll Whiskey wär", das Lied ist eine Rückschau, 20 Jahre danach, auf das, was Punk für uns damals bedeutete und wie sich das zwangsläufig verändern muss. Wir versuchen wieder genau das, was du beschrieben hast, also diese Mischung. "Pay to Play" handelt davon, welchen Preis wir (und z.B. Flüchtlinge auf dem Mittelmeer) für unsere Lebensweise bezahlen - und dass wir gerne die anderen bezahlen lassen. "Aufrecht gehen" ist kämpferisch; "Farben" beschreibt, wie eine Depression von jemandem Besitz ergreift. "Stromgitarrenwelt" ist eine Hymne auf das, was wir seit all den Jahren machen; und so geht das weiter. Wir hoffen, dass es textlich sehr abwechslungsreich ist.

HULKzine: Das hört sich in der Tat sehr abwechslungsreich an, aktuelle Themen und persönlich Erlebtes, eine spannende Mischung. Mal abgesehen von dem "Whiskey..."-Song, was hat Punk für euch damals bedeutet? Und wie hat Punk sich verändert im Laufe der Zeit? Wie habt ihr euch verändert und was bedeutet Punk heute noch für euch?

Holger: Vor allem verändert man sich ja selbst; sieht viele Dinge gelassener, man weiß eher, worauf es ankommt, und man übernimmt in der Regel auch mehr Verantwortung, z.B. wenn man Familie hat. Und auf eine ehemals Jugendbewegung wie Punk, mit Chaostagen usw., bekommt man natürlich auch eine andere Sicht. In meinem Fall: Mit 16 war Punk auch noch relativ neu, keine acht Jahre alt. Es war ein Mittel gegen gängige Meinungen zu protestieren, sich abzugrenzen, auszuleben und auch sehr auf den Moment bezogen - da denkt ja niemand an Altersvorsorge oder so etwas, noch nicht mal ans älter werden. War auch völlig egal. Die politische Message gefiel mir (nicht immer) auch. Heute ist alleine der Begriff schon schwierig, da es so viele verschiedene Spielarten und Denkweisen bei "Punk" gibt. Es ist nicht klar zu sagen, was es eigentlich bedeutet. Als Lebensgefühl ist es ebenso unbestimmt wie "Rock`n`Roll", obwohl das wahrscheinlich noch offener ist. Ich persönlich möchte auch gar nicht auf einen Begriff reduziert werden. Der ist noch gut, einen bestimmten Musikstil zu beschreiben, aber als Lebensstil-Begriff wohl kaum. Man müsste den Begriff mit Inhalten füllen, aber das wäre heute nur noch ein Minimalkonsens; zum Beispiel ist es Unfug zu sagen "Punk heißt: Mach dein eigenes Ding", das hat Adolf Hitler z.B. auch gemacht. Punk ist im Grunde ein historischer Begriff.

HULKzine: Es heißt ja immer wieder, Punk sei tot. Für die einen schon seit 1979, für andere seit den 90ern oder seit wann auch immer. Trotzdem lebt Punk ja irgendwie auch heute noch. Es gibt immer noch und immer wieder Bands, die sich als Punkbands bezeichnen, Menschen, die sagen, sie sind Punk usw. Für jeden bedeutet es etwas anderes, angefangen vom Lebensgefühl über die Musik, von der politischen Ausrichtung bis zum Aus-Prinzip-dagegen-sein. Besonders in den letzten Jahren ist die Entwicklung aber etwas schwammiger geworden. Egal was Punk für den einzelnen bedeutet hat, bei einer Sache war man sich immer einig: Gegen Nazis, gegen Rechts, gegen Rassismus und Faschismus. Das scheint heutzutage nicht mehr so wirklich eindeutig zu sein, es tummeln sich immer mehr Bands unter dem Deckmantel Punk, die keine klare Haltung gegenüber der rechten Szene haben. Ebenso besuchen Leute, die sind als Punk bezeichnen, die Konzerte dieser Bands. Wie ist eure Haltung gegenüber der sogenannten Grauzone? Seid ihr damit, besonders live, in Berührung gekommen? Wie kann man als Band damit umgehen?

Holger: Ja, wie gesagt: Es ist bestimmt leichter zu sagen, was Punk nicht ist als was es bedeutet. Ob man es nun "Punk" nennen will oder sonst wie, ist auch egal. Und klar lebt es noch; wie Pascow singen: "In deinem Kopf, in deinem Bauch" - und halt in deinem Herzen. Der Rest ergibt sich. So auch der Umgang mit dieser Grauzone. Nein, Kontakt hatten wir noch nicht; und da gilt die alte Regel für uns: Was man nicht will, muss man ablehnen und das offen und deutlich ganz klar machen. So machen wir das auch.

HULKzine: Schließt sich an die neue Platte auch eine Tour an? Wie sind eure Live-Pläne? Dürfen wir uns auf Lost Lyrics-Konzerte freuen?

Holger: Richtige Touren machen wir schon länger nicht mehr, aber natürlich spielen wir an Samstagen, und natürlich auch wie immer quer durch die Republik, was sich ergibt. Da könnt ihr unsere Website www.lost-lyrics.de im Auge behalten.

HULKzine: Das hört sich doch gut an, dann werden wir mal alle schön unsere Augen offenhalten und euch in irgendeinem Club, JuZe oder was auch immer irgendwo in der Republik besuchen. Zum Schluss noch die Möglichkeit für euch loszuwerden, was ihr immer schon mal erzählen wolltet.

Holger: Immer schön authentisch bleiben!


Infos, Tourdaten & Musik unter www.lost-lyrics.de



Kategorie:Interviews