Zwakkelmann: "Tabularasa machen" 3/5

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In Kassel-Soho angekommen, stellten wir den Wagen erstmal ab und erkundeten zu Fuß das, was wir für Kassel-City hielten. Sich fremde Städte mit Schuhen, aber ohne Stadtplan zu erschließen, ist nach wie vor eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Unwissenheiten im Auge des Betrachters rücken den Charakter einer Stadt in den Fokus, vorausgesetzt, man kann über Architektur lachen und in Gesichtern der Eingeborenen lesen. Wir konnten beides nicht. Es nieselte. Grau war die Farbe des Tages. Wahrscheinlich war Kassel ein Frosch, den man erst wachküssen muß. Aber wo ist Kassels Mund und war der Lippenstift nicht etwas zu groß für diese Stadt? Vielleicht hätten wir mal jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt.

Gäbe es nicht diese gravierenden Altersunterschiede, wären wir wohl zu Jacob Grimm gegangen, den Gebruder, der hier im Jahre 1816 zweiter kurfürstlicher Bibliothekar war.

Der Frosch erweckte ein subtiles Gefühl der Vertrautheit, obwohl Kassel in keinster Weise an andere Städte erinnert. Wir stiefelten an McDonalds, Subway und Karstadt vorbei, ließen Runners Point, Deichmann und Betty Barclay links liegen, bis wir hinter der Döneria Istanbul die CitiBank erspähten und uns erstmal draufsetzten. Ich für meinen Teil beschloß, an der Chronologie meines perfekten Tages festzuhalten und die drei Dinge zu tun, die ein Mann in Kassel wohl tun muß.

1. Ich stellte mich auf den Bahnhofsvorplatz, spendierte meinen Augen eine Body-Vertikaldrehung um 360 Grad, gab mehrere Pirouetten Zugabe und konnte danach immer noch nicht glauben, was man mit einem Pillemannsbaustoff wie Beton für einen Schaden anrichten kann. Also, wer hier ankommt, will sofort wieder weg. Beeindruckend.

2) Um die Emotionen etwas zu kühlen, besuchte ich das Deutsche Tapetenmuseum. Die Räume waren beheizt und verströmten dank der durchaus vorhandenen Tapeten ein angenehm wohnliches Ambiente. Minutenlang eine Wand anzustarren und dabei eins zu werden mit dem Puderzucker, der dem süßen Leben seinen wohligen Geschmack verleiht, ist ein untrügliches Zeichen dafür, daß man sich auch in Kassel geborgen fühlen kann.

3) Was der stillen Euphorie, in der ich im Glanze meines Glückes brühte, die Krone aufsetzte, war mein Reisesouvenir. Die Buchhandlung "Vaternahm" führte doch tatsächlich einen Bildband "DDR-Postkarten" mit vielen schönen Hochhäusern, Straßenzügen und Lenins in allen Farben und Schuhgrößen. Die schönste Karte allerdings enthält weder den Omnibusbahnhof Karl-Marx-Stadt noch das Traditionslager Klim Woroschilow. Sie zeigt einfach nur einen Haufen jubelnder, fröhlicher Kinder mit dem Text "Schulanfang".


zum Zweiten Teil

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Mehr vom Tom Tonk gibt es auf hier OpenPunk oder auf seiner Seite: http://www.rockraketetonk.de